Puppentheater habe ich für mich entdeckt, weil ich mit meinen Kindern im hiesigen Kulturzentrum gute Puppenspiel-Produktionen gesehen habe und damals im nahen Einkaufszentrum anspruchsvolle Puppenspielwochen geboten wurden.
Für mich tat sich eine faszinierende Welt auf, die mich seit Jahren beschäftigt und in der ich jeden Tag Neues entdecke. In meinem Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft kam Puppentheater nicht vor. Auch in dicken Theatergeschichtsbüchern sucht man es vergeblich.
Dabei ist Puppenspiel eine Kunst, die es in den allermeisten Kulturen schon so lange gibt, dass die Anfänge im Dunkel der Geschichte verborgen sind. Manche Wurzeln liegen im religiös-kultischen, nicht nur in afrikanischen Kulturen, auch bei der katholischen Kirche gab es animierte Figuren, jedenfalls wird vermutet, dass „Marionetten“ ihren Namen von Darstellungen der Heiligen Maria hätten.
Heute ist Puppenspielkunst für mich eine Spielart des darstellenden Künste, neben Schauspiel, Maskentheater, Tanz… in denen der Darsteller eine Rolle ausserhalb seines alltäglichen Lebens und unabhängig von Zeit, Raum und sozialem Status verkörpert. Der Unterschied besteht in der Technik: der Darsteller kann Maske und Kostüm selbst anlegen oder stellvertretend einen Avatar animieren. Dieser kann eine Handpuppe sein, eine Stabfigur oder eine Marionette. Bei lebensgroßen Kostümpuppen, die der Spieler gewissermaßen von innen bewegt, schließt sich der Kreis und er Unterschied zu Schauspiel und Musiktheater ist nur noch ein stilistischer. Das Prinzip ist gleich. Mit Hilfe der Gestaltung, der Bewegung, der Sprache, des Gesangs wird ein Bild erzeugt, das erst in der Wahrnehmung des Zuschauers real wird. Hier ist die entscheidende Ebene.
Die Vielfalt der Puppenspiel-Produktionen ist unerschöpflich. Um ihren künstlerischen Anspruch zu demonstrieren und sich von traditionellen Formen, die als altmodisch galten, abzugrenzen nannten seit den 70er Jahren viele Puppenspieler ihre Bühnen „Figurentheater“. Inzwischen werden die Begriffe wieder lockerer gehandhabt. Dieser Aufbruchsbewegung etablierte auch hierzulande die „offene Spielweise“, was bedeutet, dass man – anders als beim Handpuppen- oder Marionettentheater, wo die Spieler hinter der Bühne verborgen sind – die Spieler sieht. Entweder möglichst unauffällig in neutraler Kleidung oder als Partner der Puppen in einer oder wechselnden Rollen.
In diesem Zusammenhang kann ich nicht umhin, einen Künstler, der mich besonders überrascht, fasziniert und bereichert hat, zu erwähnen: Neville Tranter, der als junger Mann in Australien Handpuppentheater nach europäischem Vorbild kennenlernte. Ihn faszinierten dabei die Tier-Figuren, wegen ihres beweglichen Mundes. Denken sie an das Krokodil im Kasper-Theater. Er wurde zum Pionier der „Klappmaulfigur“ und spielt von Amsterdam aus auf der ganzen Welt abendfüllende Stücke auf großen Schauspielbühnen, allein mit seinen lebensgroßer Figuren. Beispielsweise „Schickelgruber“ – die letzten Tage im Führerbunker. Für Erwachsene versteht sich. Neville Tranter ist unter dem Motto „The power of the puppet“ auch als Dozent tätig und ich kann aus eigener Erfahrung berichten, dass unter seiner Anleitung eine Puppe, dem Spieler, der sie selbst bespielt, durchaus unheimlich werden kann.
Puppentheater wird leicht auf Theater für Kinder reduziert. Ursprünglich spielten Puppenspieler für Erwachsene, es gab Unterhaltung und große Dramen, oft auch aktuelle Zeitgeschichte. Die Darstellungen waren nicht selten deftig und auch blutrünstig. Kinder schauten die Programme mangels Jugendschutz und pädagogischen Verständnisses sogar zum reduzierten Preis. Erst als vor gut hundert Jahren das Kino Erwachsenen abendliche Unterhaltung bot gibt es im Puppentheater zahlenmäßig tatsächlich mehr Angebote für Kinder. Die sind auch noch besser sichtbar, weil das Spektrum sehr viel breiter ist. Hier tummeln sich auch zahlreiche Bühnen, für die Broterwerb im Vordergrund steht. Ein simples Unterscheidungsmerkmal: wenn die Firmierung lediglich aus einer Mobiltelefonnummer besteht, ist Vorsicht geboten.
Niveauvolle Angebote gibt es in Hülle und Fülle. Puppenspielkunst kann man in Berlin und Stuttagrt studieren oder in spezialisierten Bildungsstätten wie in Bochum und Warmsen erlernen. Gute Puppenspiel-Produktionen werden in der Regel arbeitsteilig erarbeitet, da gibt es Experten für die Puppengestaltung, das Bühnenbild, die Musik und vor allem für Regie. Oft übernehmen die Spieler auch gestalterische Aufgaben, doch für die Regie braucht man jemandem der „von außen draufschaut“.
Es gibt viel zu entdecken: die Geschichte wird in Museen in Bad Kreuznach, Berlin, Dresden, Eppelborn, Husum, Lübeck, München erschlossen. Zahlreiche Festivals wie in Augsburg, Berlin, Bochum, Brühl, Erlangen, Göttingen, Husum, Nürnberg, Steinau bieten Gelegenheit Produktionen aus dem gesamten Bundesgebiet und auch aus dem Ausland zu erleben. Zwei befreundete Gesellschaften vernetzen die Szene u.a. mit ihren Fachzeitschriften: Der „Verband deutscher Puppentheater“ in dem sich zahlreiche Profi-Spieler zusammengeschlossen haben und die deutsche Sektion der 1929 in Prag gegründeten weltweiten UNIMA (UNION INTERNATIONALE DE LA MARIONNETTE) in der Spieler, Veranstalter und Interessierte zusammengeschlossen sind.
Mich hat dieses ganz besondere Theater so fasziniert, dass ich vor 16 Jahren selbst Puppenspieler geworden bin und meine Begeisterung auch als Hochschullehrer und Kursleiter teile.
Ein Text von Rudi Strauch.
Webtipp zum Thema
- Ein modernes postdramatisches Theater im Main-Kinzig-Kreis findet sich auf www.theaterlaboranten.de